Multikulti in Odessa

Es geht Richtung Süden, Richtung Meer. Nach dem alt-ukrainischen Kiew, den westlich orientierten Regionen wie Galizien und der Bukowina, den Festungen in Bessarabien und Podolien, wird es jetzt wärmer, interessanter und multikultureller.

Hafenstädte haben es so an sich, dass hier ein buntes Völkergemisch lebt. In ganz besonderem Maße trifft dies auf Odessa zu.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde von den Russen eine dem heutigen Odessa nahe türkische Festung erobert. Um einen leistungsfähigen Militärhafen am Schwarzen Meer zu haben, wurde auf Befehl der Zarin Katharina der Großen eine Stadt gegründet. Zur Erinnerung an die griechische Kolonie Odessos wurde die Stadt schließlich "Odessa" getauft. Der Eroberer der Festung, der Neapolitaner Joseph de Ribas, wurde auch der erste Statthalter. Ihm folgte Armand du Plessis, Herzog von Richelieu (nicht zu verwechseln mit dem Kardinal des 17. Jahrhunderts), der später französischer Premierminister wurde.

Nicht nur die Führung der Stadt war international, auch die Bevölkerung war es. Viele folgten dem Ruf der russischen Regierung, unter anderem die Schwarzmeer-Deutschen. Ohne Leibeigenschaft, ohne Mauern und Schloss, war Odessa ein Magnet für viele Menschen aus ganz Europa, die diese Stadt aufbauten. Richelieu schrieb 1803: "Noch nie versammelten sich in einem Land auf einer derart kleinen Fläche Angehörige so vieler Völker, deren Sitten, Sprachen, Kleidung, Konfession und Bräuche sich so sehr voneinander unterscheiden".


Für alle, die mit dem Schiff ankamen, war die Potemkin-Treppe der Empfang zur Stadt Odessa. Von unten findet der Blick den einstigen russischen Statthalter, den Herzog von Richelieu in römischer Toga, der mit ausladender Hand wie ein Gott den Fremden begrüßt.

Mit der Spanischen Treppe in Rom konkurriert sie darum, die berühmteste Treppe der Welt zu sein. Das hat vor allem mit einer der bekanntesten Szenen der Filmgeschichte zu tun: Im "Panzerkreuzer Potemkin" von Sergej Eisenstein rollt ein Kinderwagen die Treppe hinunter, und Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten metzeln wehrlose Arbeiter nieder.

Aus der ehemaligen "Richelieu-Treppe" wurde im Jahr 1955 zum 50. Jahrestag der Meuterei die "Potemkin-Treppe" – allerdings nicht zu Ehren des Fürsten Grigorij Potemkin, sondern zu Ehren der Meuterei auf dem gleichnamigen Schlachtschiff.

Die effektvolle Treppe ist unten 21 Meter breit, oben nur noch 13 Meter. Mit der Folge, dass die Treppe von unten wesentlich länger aussieht als sie ist und von oben gleich breit. Von unten sind nur die Stufen zu sehen, von oben nur die Absätze. Straßenkünstlerisch war überraschenderweise tagsüber wenig los, abends etwas mehr.

Vom Richelieu-Denkmal geht's Richtung einem weiteren Denkmal, das Zarin Katharina die Große mit ihren "4 Liebhabern" zeigt, in Richtung Oper.


Auf einem Streitwagen, der von 4 Leoparden gezogen wird, begrüßt die Muse Melpomone die Besucher der Oper. Nach statischen Problemen wurde sie mehrere Jahre geschlossen, renoviert und 2007 wieder eröffnet.

Die Oper sieht von außen ja schon recht gut aus. Bei einem abendlichen Bummel entlang der Oper, konnte unser Reiseleiter den Portier überreden, uns für ein paar Minuten ins Treppenhaus einzulassen. Anbei die Bilder dazu.

Weiter geht's Richtung Archäologischem Museum und Rathaus.

Wieder an der Potemkin-Treppe vorbei, gehen wir Richtung Innenstadt. Mark Twain schrieb nach einem Besuch 1867: "Wir blickten die Straße hinauf, wir blickten hinunter, wir sahen immer nur Amerika!" An Amerika haben wir nicht gedacht, aber die Stadt strahlt immer noch (bzw. wieder nach Zerstörungen vor allem im 2. Weltkrieg) ein angenehmes großbürgerliches Flair aus, das sie in der goldenen Ära des 19. Jahrhunderts geprägt hat.

Am angenehmsten ist die Gegend um die Derbasivska-Straße mit zahlreichen Straßencafés und einer üppigen Passage. "Derbasivska" ist eine Verballhornung des Namens des Eroberers und ersten Statthalters der Stadt: de Ribas.

Nicht für möglich zu halten, aber wahr: wir kommen zur Evangelisch-Bayerischen Kirche, die vor wenigen Jahren mit deutschem Geld wieder aufgebaut und innen völlig neu gestaltet wurde. Hier ist allen Ernstes der "Sitz der Kirchenleitung der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine".

Ursprünglich war eine Führung im Archäologischen Museum vorgesehen, die aber wg. Renovierung ausfiel. Dafür hatten wir die Möglichkeit, einem Wettbewerb ukrainischer Chöre beizuwohnen. Sehr schön, danach war freier Nachmittag angesagt. Odessa hat einen Industriehafen. Anders ausgedrückt: man kann leider nicht am Wasser das Leben genießen. Nichtsdestotrotz: Odessa bietet genügend Möglichkeiten, es sich gut gehen zu lassen.


Am Ufer des Dnjepr, unweit des Schwarzen Meeres, liegt Cherson. Der Bau der Festung unter Fürst Potemkin war der Beginn der Eroberung der Krim. Den Namen hat die Stadt vom antiken Chersones, das allerdings auf der Halbinsel Krim liegt.

Hier steht ein Denkmal des Gründers der Schwarzmeerflotte, Grigorij Potemkin, und sein Grab sehen wir in der Katharinenkirche.

Hier noch ein Beitrag von "nextz.de" zu den "Potemkinschen Dörfern":

Werden uns potemkinsche Dörfer gezeigt, dann spiegelt uns jemand falsche Tatsachen vor, diese Dörfer sind ein Sinnbild für Lug und Trug. Angeblich soll einst der russische Fürst Potemkin (1739-1791) Zarin Katharina auf einer Inspektionsreise durch die Krim nur blühende Dorfattrappen gezeigt haben. In Wirklichkeit beruht diese Geschichte aber auf bösartigem Hofklatsch in St. Petersburg, den dort niemand glaubte. Erst ein sächsischer Diplomat namens Heibig brachte diese Geschichte durch seine Memoiren nach Deutschland und sogar in unsere Geschichtsbücher. Armer Potemkin. Seine Dörfer waren also nicht von Pappe.