Menschen im Iran

Reisender, kommst du aus dem Iran, so verkündige zu Hause, was du gesehen.

2008 fuhren wir in den „Schurkenstaat“ Iran. Über die Menschen im Iran hatten wir uns überhaupt nicht den Kopf zerbrochen. Wozu auch – wird wohl genau so sein wie in anderen islamischen Ländern, von denen wir schon einige kannten. Bücher über den Iran hatten wir auch ein paar gelesen und da schien auch nichts darauf hinzudeuten, dass es Unterschiede zu den umgebenden Ländern geben könnte. Dann wurde es jedoch eine Begegnung der ganz anderen Art, die wir so keinesfalls erwartet hatten.

Wir haben eine organisierte Gruppenreise im März 2008 gemacht. Das Jahr ist wichtig zu nennen, denn angeblich „rutscht jedes Jahr das Kopftuch einen Zentimeter nach hinten“. Leute, die den Iran ein paar Jahre vorher bereist haben, werden sich wahrscheinlich über meine Bilder wundern.

Wenn wir Frühlingsbeginn haben, findet im Iran das Neujahrsfest statt und sehr viele Iraner sind im Land touristisch unterwegs. Da wir auch noch die „historische Route“ gebucht hatten, die uns durch das halbe Land führte, heisst das, dass sehr viele Iraner an jenen Stätten waren, wo wir auch hin wollten.

Neugier

Und an allen diesen Stätten sind wir von Iranern angesprochen worden. Zwar in einem sehr holprigen Englisch und mehr mit Händen und Füßen als mit den Lippen, aber es ging. Und immer wurden wir gefragt, wie es uns im Iran gefällt und was wir von ihm halten. Ich weiss nicht, was die anderen aus der Gruppe gesagt haben – wir beide haben deutlich gesagt, was uns an der Politik der iranischen Regierung nicht passt. Oftmals war das, was wir gesagt hatten, neu für die Iraner, aber beleidigt war keiner.

Es ist nicht so, dass man jetzt von jedem angesprochen wird. Es war irgend was zwischen 1 und 10% der Menschen, die uns angesprochen hatten. Also immer noch sehr viele. Und da die meisten davon selbst auf Reise waren, hatten sie einen Fotoapparat dabei und wollten uns fotografieren. Ja klar – dann will ich aber auch. Und so entstanden die meisten der hier gezeigten Bilder.

Paarweise

Auffällig ist, dass viele (verheiratete) Paare zusammen unterwegs sind, manchmal auch Händchen haltend. Was daran besonders ist? In den arabischen Ländern habe ich das nicht gesehen. Dort gibt es in der Öffentlichkeit eine Männerwelt und eine Frauenwelt. Männer sind mit Männern unterwegs, Frauen mit Frauen. „Gemischt“ habe ich dort noch niemanden gesehen.

Irgendwie verblüffend und ich wundere mich darüber, dass ich das in keinem Buch gelesen habe, obwohl das offensichtlich ist.

Vaterfreuden

Ebenfalls verblüffend, dass sich um die Kleinkinder offensichtlich die Männer kümmern. Ob auf der Straße oder im Restaurant – immer waren es die Väter, die sich um die kleinen Kinder kümmerten.

Familie

Die Iraner sind sehr familiär und es waren viele Familien unterwegs.

Allerdings sind sie nicht auf den „Familien-Clan“ fixiert, wie es in vielen islamischen Ländern der Fall ist. Dort gibt es häufig festgelegte Strukturen. Es gibt Einen, der das Sagen hat. Danach kommen weitere Abstufungen, etwa der älteste Sohn.

Anders ausgedrückt: Es wird das gemacht, was der jeweils Ranghöhere sagt. Das Argument zählt nicht. Natürlich kann man versuchen, den Ranghöheren so weit zu bringen, dass er das sagt, was man selbst will – das ist aber eine andere Geschichte.

Es gibt einen sehr starken Zusammenhalt innerhalb der Familie. Je weiter man sich davon entfernt (etwa bei der Gemeinde oder dem Staat), umso geringer das Interesse, gemeinsam etwas zu erreichen.

Dass die Iraner da anders drauf sind, zeigt sich an zwei Dingen:

Diskussionskultur

Das Argument zählt und damit die Überzeugungskraft.

Wer gewohnt ist, immer das Sagen zu haben bzw. den Entscheider so weit zu bringen, dass er das tut, was man selbst will – den interessieren keine Argumente. Ebenfalls nicht den, der sowieso immer untergebuttert wird. Der kann eh sagen, was er will.

Iraner sind im Diskutieren geübt und haben zudem das Bewusstsein, aus einer großen, Jahrtausende alten Hochkultur zu stammen.

Und genau das macht sie so unbeliebt. Das habe ich gemerkt, als ich mich gewundert hatte, als in Deutschland bei einer (nicht-religiösen) Interessens-Vertretung der islamisch geprägten Länder hauptsächlich Iraner tätig waren. Darauf hin fragte ich eine Türkin, warum nicht mehr Türken oder Araber da mitmachen würden. Antwort: Die sehen an den Namen, dass da Iraner dabei sind. Also Menschen, die geübt sind im Diskutieren und Überzeugen und deshalb von anderen gerne als dominant empfunden werden.

Gemeinsinn

Wir sind durch das halbe Land gefahren und überall waren die Straßen in sehr gutem Zustand. Auch in den Dörfern, auch in den Seitenstraßen. Man vergleiche das mal mit den arabischen Ländern. Da gibt es meistens eine Überland-Straße, die in Ordnung ist. Und schon die erste Seitenstraße ist nicht asphaltiert. Man läuft entweder durch den Staub oder durch den Matsch. Ist nicht überall so, aber häufig.

In jeder größeren Stadt im Iran gibt es öffentliche Parkanlagen – sehr häufig wird man das in den arabischen Ländern auch nicht antreffen.

Unseren iranischen Reise-Begleiter fragten wir, ob die religiösen Führer dem Volk nicht auf die Nerven gingen. Antwort: Nein, denn die sorgen dafür, dass es in jedem Dorf eine Turnhalle und kulturelle Einrichtungen gibt.

Technisches Denken

Viele Iraner denken technokratisch, ergreifen technische Berufe, studieren technische Fächer, gründen kleine Firmen. Der Staat unterstützt und steuert das. Na und?

Genau: Bei Arabern ist das so nicht der Fall. Das sind begnadete Händler, aber keine Techniker. In den arabischen Ländern gibt es sehr viele Menschen, die den Islam lernen und studieren. Im Gegensatz zu geistes-wissenschaftlichen Fächern, vor allem der Islam-Kunde, stehen die technischen oder natur-wissenschaftlichen Fächer in niedrigerem Ansehen. Aber: genau diese Fächer tragen zum Wohlstand bei. Sowohl im privaten als auch im staatlichen Bereich.

Und die Regierungen  tun nur wenig dagegen. Die Studenten, die zum Studium natur-wissenschaftlicher oder technischer Fächer ins Ausland geschickt wurden, bleiben meistens gleich dort. Wg. höherem Gehalt und höherer individueller Freiheit.

Soweit ich das beurteilen kann, werden erst seit den letzten Jahren größere Anstrengungen unternommen, größere technische Universitäten in den eigenen Ländern zu installieren. Und in den meisten islamischen Ländern gibt es kaum natur-wissenschaftlichen Unterricht in den Schulen.

Überspitzt ausgedrückt: Die einen beten – die anderen arbeiten.

Religiös?

Iraner sind religiöse Fanatiker.

War zumindest meine Überzeugung, bevor ich dort hin kam. Was das Offizielle anbelangt: Jeden Morgen ist im Fernsehen der oberste religiöse Führer beim Morgengebet zu sehen. Und überraschenderweise scheint es keine Muezzins zu geben – zumindest haben wir nie einen gehört.

Ein deutscher Atheist bewegt sich in einer Kirche respektvoller als es die Iraner in der Moschee tun. Ich spreche hier nicht von betenden, sondern von touristischen Iranern. Von großen religiösen Gefühlen des Erhabenen oder der Ergriffenheit habe ich überhaupt nichts gesehen. Die gehen da rein, wundern sich, freuen sich, schäkern, lachen – streng-religiös sieht da aber anders aus (die streng Religiösen haben wir zwar in Ghom gesehen, sonst aber nirgends).

Anbei ein Link zu einem YouTube-Video mit den hier gezeigten Bildern. Die ersten 30 Sekunden zeigen eine lachende Groß-Familie in der Moschee. In einer deutschen Kirche wird man so ein Verhalten kaum sehen.

https://www.youtube.com/watch?v=Vo4ujlYzxB8

Unseren iranischen Reisebegleiter fragten wir auch danach. Antwort: Nein, besonders religiös seien die Iraner nicht. Die beachten zwar die offiziellen Sachen (so wie bei uns Weihnachten und Ostern), haben ansonsten aber kein sonderliches Interesse an Religion.

Aha.

Erfolge der Regierung

Mit „Regierung“ meine ich jetzt nicht die aktuelle Regierung, sondern das politische System seit der erfolgreichen Islamischen Revolution.

Frage: Wie ist die aktuelle Geburtenrate im Iran, also die Anzahl der Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter?

Antwort: 1,7

Zum Vergleich: Türkei 2,1, Ägypten 2,8, Saudi-Arabien 3,0, Pakistan 3,8, Afghanistan 6,4.

Als ich das gehört hatte, hat’s mich fast aus den Socken gehauen. Da ist das größte Problem der Menschheit, dass es ein paar Milliarden zu viel davon gibt – und ein islamisches, als äußerst konservativ dargestelltes Land schafft es tatsächlich, die Geburtenrate drastisch zu senken.

Mal davon abgesehen, dass ich mich auch hier von unseren Medien falsch informiert fühle, bleibt die Frage: Wie schaffen die das?

Der Iran betreibt eine aktive Bevölkerungspolitik. Das äußert sich darin, dass bei allen Studiengängen das Fach „family control and population“ vorgeschrieben ist. Und alle Heiratswilligen müssen einen Kurs belegen, in dem ausführlich über Verhütung geredet wird. Auf YouTube gibt’s ein Video, das die fassungslosen Gesichter bei einer solchen Veranstaltung zeigt. Hier der link dazu (man muss dafür aber extra bei YouTube angemeldet sein):

http://www.youtube.com/watch?v=Xm_KLyi9W9U

In früheren Zeiten ließen bildungsfernere oder streng gläubige Schichten ihre Töchter wenig bis nichts lernen. Die religiösen Autoritäten redeten jedoch auf die Väter ein, dass die Töchter zur Schule oder sogar zur Hochschule gehen sollen. Sie würden auf sie aufpassen, dass ihnen nichts „passiert“.

Ergebnis: Mittlerweile studieren mehr Frauen als Männer und wollen natürlich immer weiter gehende Rechte. So war das bestimmt nicht gewollt; ohne die Islamische Revolution wäre es aber sicher nicht so weit gekommen.

Der Iran ist ein Vielvölkerstaat und hat es geschafft, dass die verschiedenen Völker sich entweder als Iraner fühlen bzw. sich dem Staat gegenüber verpflichtet sehen. Selbst die dort lebenden Araber und Kurden. Auf jeden Fall ein großer Erfolg.

Anscheinend haben es viele Iraner zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Zumindest haben wir sehr viele (meist französische) Mittelklasse-PKW gesehen.

Vergleich mit arabischen Ländern

Der Mentalitäts-Unterschied zu anderen islamisch geprägten Ländern ist verblüffend. Zumindest war es das für uns, da wir da überhaupt nicht damit gerechnet hatten. Wir hatten mit ähnlichen Verhaltensweisen wie in den arabischen Ländern gerechnet.

Ich bitte darum, mich nicht so zu verstehen, dass ich die Araber schlecht machen will. Zum einen wollte ich die Unterschiede heraus arbeiten, zum anderen sind sehr viele andere Länder bzw. Völker so oder so ähnlich gestrickt.

Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Als Humanist und Mensch, der der Überzeugung ist, dass Religion Privatsache sein muss, bin ich mit dem iranischen politischen System nun wirklich nicht glücklich. Man sollte allerdings auch fair sein und die Dinge, die man gut findet, klar beim Namen nennen.

Gute Aussichten

Während ich die Zukunft in den meisten islamischen Ländern als nicht gut sehe (schon allein wg. der starken Überbevölkerung, hat der Iran gute Chancen auf eine gute Zukunft.

Die Gründe dafür sehe ich in der unterschiedlichen Bevölkerungspolitik, im technischen Denken und im Gemeinsinn. Und im Willen, anfallende Probleme zu lösen.

Nicht zu unterschätzen ist auch die immer stärker werdende Rolle der Frauen, die dem Land gut tun wird.

Der Wohlstand in der iranischen Bevölkerung ist jetzt schon deutlich größer und wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach weiter vergrößern. Außer natürlich im Vergleich zu kleinen Ländern mit hohem Rohstoff-Vorkommen.

Schlechte Aussichten

Das Land ist gespalten in Modernisierer und Traditionalisten. Bevor wir in Ghom waren, hatten wir es zum überwiegenden Teil mit aufgeschlossenen, säkularen Menschen zu tun. In Ghom waren dann tatsächlich die Religiösen. Ich bin froh, dass wird dort waren, sonst hätte dieses Mosaiksteinchen zur Einschätzung noch gefehlt.

Das Land hat eine hanebüchene Verfassung, die dem religiösen Führer eine nahezu absolute Macht verleiht. Da der Iran jetzt aber nicht so religiös ist, immer mehr Jugendliche voran kommen, die mit der Islamischen Revolution nichts am Hut haben und die Medien, in erster Linie das Internet, Vergleiche mit dem Ausland ermöglichen, wird sich das jetzige System kaum die nächsten Jahrzehnte halten können.

Wie friedlich die Ablösung statt finden wird, wird die Frage sein. Dass es einen halbwegs stimmigen Ausgleich gibt, mit dem alle leben können, halte ich für unwahrscheinlich. Ich gehe davon aus, dass früher oder später die Säkularen siegen werden und die Traditionalisten vor den Kopf stoßen.

Ein anderer Punkt ist die Außenpolitik. Es gibt Länder, denen der Iran als Regionalmacht zu stark ist, solche, denen es nicht passt, dass der Iran eine eigenständige Politik betreibt. Und es gibt Hardliner in der iranischen Politik, die aggressiv auftreten, unter anderem gegenüber Israel.

Konfliktpotential ist also genügend vorhanden.

Zuguterletzt

Das, was ich im Iran gesehen habe, finde ich in der Berichterstattung in den großen Medien nicht wieder. In der Zwischenzeit habe ich auf anderen Reisen Menschen kennen gelernt, die ebenfalls im Iran waren und denen es genau so ging wie mir.

Was auch immer die Gründe für diese einseitige Berichterstattung sein mögen – eine Folge hat sie bei vielen Menschen. Bezüglich wirtschaftlicher Sanktionen oder eventueller kriegerischer Aktionen gegenüber dem Iran gibt es die Meinung, dass es „denen“ nicht anders gehöre und es um „die“ nicht schade wäre.

Was man auch immer von der großen Politik und der iranischen Regierung halten mag: Dass es um „die“ sehr wohl schade wäre, das sollte dieser Bericht zeigen.

Im Gegensatz zu Menschen anderer Herkunft, gibt es in Europa kaum Probleme mit Menschen aus dem Iran. Im Gegenteil: meistens sind sie voll integriert und bringen sich in die Gesellschaft ein. Unabhängig von der jeweiligen Regierung könnten die Menschen im Iran einen sinnvollen Beitrag in der Weltgemeinschaft leisten.