Kein Witz - es ist toll in Czernowitz!

Czernowitz, manchmal auch Tschernowitz geschrieben, hat eine relativ kurze, dafür umso interessantere Geschichte. Heute trägt das "Klein-Wien" seinen Beinamen zurecht.

Bis 1775 war Czernowitz ein Dorf, das mit dem umliegenden Land, der Bukowina, zum Fürstentum Moldau gehörte. Während des Russisch-Osmanischen Krieges wurde die Bukowina von Österreich besetzt und dem gerade durch die 1. Polnische Teilung erworbenen Galizien zugeschlagen. Dies alles ist im Zusammenhang zu sehen mit der absehbaren Expansion Russlands Richtung Schwarzes Meer und dem Wunsch nach einem Gleichgewicht der Kräfte.

Im folgenden Jahrhundert wurde Czernowitz die Hauptstadt der Bukowina, die 1849 von Galizien abgetrennt und ein selbständiges Kronland innerhalb Österreichs-Ungarn wurde. Bis zum 1. Weltkrieg erreichte es eine kulturelle Blüte und wurde gerne als "Klein-Wien" bezeichnet.

Nach dem 1. Weltkrieg verleibte sich Rumänien die Bukowina ein, nach dem 2. Weltkrieg wurde die Bukowina schließlich geteilt: der südliche Teil ging an Rumänien, der nördliche Teil mit Czernowitz an die damalige Sowjetunion. Heute ist Czernowitz ein Teil der Ukraine.


Der zentrale Platz ist der Ringplatz. Die Wandlungen, die die Stadt im 20. Jahrhundert durchlief, kann an den Denkmälern gut nachvollzogen werden:

In der deutsch-österreichischen Zeit stand dort eine Marienstatue.
In der rumänischen Zeit ein Soldat mit rumänischer Fahne.
In der sowjetischen Zeit ein Lenin-Denkmal.
In der ukrainischen Zeit ein Denkmal des ukrainischen Nationaldichters Taras Sevcenko.

Dass weder Maria, Lenin noch Sevcenko irgend etwas mit Czernowitz zu tun hatten, ist wieder eine andere Sache.


Direkt am Ringplatz steht das Haus der rumänischen Kultur, das rührig an die rumänischen Kulturschaffenden aus der Bukowina erinnert. Vor allem an den rumänischen Nationaldichter Mihail Eminescu und den Komponisten Ciprian Porumbescu, der die rumänische Nationalhymne komponierte (die in den 1990er Jahren allerdings durch eine neue ersetzt wurde). Beide besuchten hier die Schule bzw. Universität.

Immer noch ist Czernowitz eine Vielvölker-Stadt und ca. 10% der Bevölkerung sind Rumänen. In den Außenbezirken der Stadt haben wir bei der Durchfahrt mit dem Bus mehrere kleine Geschäfte mit rumänischer Beschriftung gesehen.

In dem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass es in Rumänien eine Partei gibt, die für ein "Groß-Rumänien" eintritt, also im Wesentlichen ein Rumänien mit den Grenzen vor Ende des 2. Weltkriegs. Neben der nördlichen Bukowina sollen weitere Teile der heutigen Ukraine, von Bulgarien und ganz Moldawien "heim ins Reich". Bei der letzten Europawahl errang diese Parte immerhin über 19% der Stimmen (ich weiss das auch nur deshalb, weil meine Freundin aus Rumänien stammt).


Die Herrengasse war schon immer die Flaniermeile der Stadt. Spätestens hier ist verständlich, warum die Stadt als "Klein-Wien" bezeichnet wurde. Das "Wiener Café" überrascht uns hier wirklich nicht mehr.


Ich muss zugeben, dass ich von Czernowitz nicht viel erwartet hatte. Ein Rathaus, ein Theater, ein paar schöne Häuser … aber was ich da zu sehen bekam, hat die Erwartungen schwer übertroffen. Von der Vielzahl der sehr schönen Häuser, dem Detailreichtum an den Fassaden und der Arbeit der Restauratoren war ich völlig begeistert. Eine wunderbare Stadt, in der es sich leben lässt.


1875, zum 100-jährigen Jubiläum der Zugehörigkeit zu Österreich-Ungarn, wurde die Universität eröffnet, welche das östlichste deutschsprachige Kulturbollwerk darstellen sollte, bei dem aber auch Lehrkanzeln für die ukrainische und rumänische Sprache eingerichtet wurden.

Zur Freude der Studierenden wurde nach dem 2. Weltkrieg der Sitz der Uni in die frühere Residenz des Metropoliten der Bukowina verlegt.

Heute ist das Gelände in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.


Ein bedeutendes Kulturerbe der Stadt ist der jüdische Friedhof mit über 50.000 Gräbern. Der Friedhof war verfallen und wird erst seit den 1990er Jahren wieder gepflegt, auch mit Unterstützung aus dem Ausland.


Das frühere Stanislau wurde in der Sowjet-Zeit nach dem Schriftsteller und Politiker Ivan Franko benannt. In der Stadtmitte hatten wir die Mittagspause auf der Fahrt von Lemberg nach Czernowitz. Auch hier wurde die Innenstadt mit den Kirchen modernisiert. Und auch hier ist die Religiosität im Steigen begriffen.