Kiew, das Rom des Nordens

Ein klassisches Urlaubsland ist die Ukraine nicht, obwohl das zumindest für Städte- oder Gruppenreisen eine schöne Sache ist. In einer kleinen Serie möchte ich einen Teil der Ukraine vorstellen.

Ohne mich groß mit der Politik auseinander setzen zu wollen, sollte der Reisende zwei Dinge wissen, mit denen er ab und zu konfrontiert wird:

Das Eine ist die Abgrenzung zu Russland. Nach der Jahrhunderte langen gemeinsamen Geschichte mit Russland wird versucht, die Unterschiede herauszuheben. Das äußert sich in der Umgangssprache und in unterschiedlichen Namen und Ortsbezeichnungen im Gegensatz zu sowjetischen Zeiten. Von eindeutigen Ukrainern wie dem Nationaldichter Taras Sevcenko gibt es Denkmäler an Orten, mit denen sie überhaupt nichts zu tun hatten, z.B. in Lemberg. Und da, wo es möglich ist, gibt es eine geschichtliche Abgrenzung nach dem Motto "böse Russen – gute Ukrainer" wie beim Hungerdenkmal in Kiew.

Das Andere ist die konfessionelle Spaltung. Im Wesentlichen gibt es folgende Kirchen:

- katholische Kirche

- unierte Kirche: orthodoxer Ritus, jedoch dem Papst unterstellt

- ukrainisch-orthodoxe Kirche, die dem Patriarchen in Moskau unterstellt ist

- ukrainisch-unabhängige Kirche, die dem Patriarchen in Kiew unterstellt ist (von dieser Kirche hat sich eine weitere Kirche abgespalten)

Man kann sich vorstellen, dass sich diese Kirchen untereinander spinnefeind sind; das geht bis hin zu Massenschlägereien. Dazu später mehr.

Doch nun zu Kiew. Die Stadt soll im 5. Jahrhundert von 3 Brüdern und einer Schwester gegründet worden sein. Am Ufer des Dnjepr und in der Innenstadt gibt es jeweils ein Denkmal dazu. Erinnert wird auch an die Kosakenzeit, vor allem an Bogdan Chmelniecki, der im 17. Jahrhundert einen eigenständigen Kosakenstaat errichtete.

Im Gegensatz zu anderen ukrainischen Städten, von deren Innenstädten ich angetan bis begeistert war (vor allem Lemberg, Czernowitz und Odessa), hat mich das weltliche Kiew nicht vom Hocker gerissen. Der Bericht wird deshalb etwas kirchenlastig werden.


Zum Gedenken an die Taufe von Großfürst Volodymir und seinem Gefolge und der darauf folgenden Christianisierung im Jahre 988 wurde die Volodymyr-Kathedrale im 19. Jahrhundert erbaut. Geweiht werden konnte die Kirche jedoch erst 8 Jahre nach der 900-Jahr-Feier, da die Fertigstellung der mehrere tausend Quadratmeter große Fresken sich verzögerte. Aber: Das Warten hat sich gelohnt.


Die Sophienkathedrale dient heute als Museum. Im Inneren befinden sich mehrere bedeutende Mosaiken, vor allem das riesige der betenden Gottesmutter. Selten zuvor hatte ich so etwas goldstrotzendes gesehen; Fotografieren war leider nicht erlaubt.

Auf das Museum erheben gleich drei Kirchen Anspruch. Nach dem Tod ihres Patriarchen Volodymyr wollte die ukrainisch-unabhängige Kirche Fakten schaffen und ihn dort beerdigen. Nach einer Massenschlägerei zwischen seinen Anhängern, Anhängern der Moskau-treuen Orthodoxen, Polizisten und Zivilisten wurde kurzerhand die Straße aufgebrochen und ein Grab für ihn ausgehoben. Und wenn er nicht auferstanden ist, so liegt er dort noch heute … Die lustigen Bilder von dieser Aktion kann man auf YouTube sehen:

http://www.youtube.com/watch?v=NQiCJ6oRHnQ&feature=related


Gegenüber der Sophienkathedrale liegt das Michaelskloster, an dessen Eingangsbereich das Denkmal für die Opfer der Hungersnot von 1932/33 steht. 6 Millionen Menschen hat diese bewusst von Stalin in Kauf genommene Tragödie das Leben gekostet, die meisten davon in der Ukraine. Viele Ukrainer betrachten das heute als Völkermord. In dieser Zeit wurde auch das Kloster abgerissen, jedoch Ende der 90er Jahre wieder aufgebaut.


Hinter der Andreaskirche beginnt der Andreassteig, quasi das künstlerische Viertel von Kiew. Wer die Stimmung von Flohmärkten, Cafés und Galerien mag, ist hier genau richtig. Allerdings tue ich mich immer schwer damit, das Besondere herauszufinden, was es nicht auch woanders geben könnte.


Das Höhlenkloster war die Keimzelle des christlichen Lebens in Kiew und gilt heute für die Ukrainer als Heiligtum und viel besuchter Wallfahrtsort. Im Klosterbereich sollen sich 70 Kirchen befinden. Spätestens jetzt können wir verstehen, warum Honoré de Balzac Kiew als das "Rom des Nordens" bezeichnete.

Mit Kerzen in der Hand kann man auf einer geführten Tour durch ein Tunnel-Labyrinth gehen und sieht in Nischen Särge, in denen Heilige oder zumindest Fromme liegen. Es herrscht strenges Fotografier-Verbot; letztendlich ist es aber auch nicht das große Spektakel, das man erwarten könnte.